Der deutsche Atomausstieg wird verschoben. Drei Kernkraftwerke bleiben am Netz. Ohne sie droht die Gefahr einer Strommangellage.
8. November 2022
Dem Entscheid war eine lange Auseinandersetzung zwischen den Grünen und der FDP in der deutschen Regierung vorausgegangen. Am Schluss musste Kanzler Olaf Scholz ein Machtwort sprechen resp. von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. In der NZZ heisst es: «Scholz hatte am Montagabend einen langen Streit innerhalb der Ampelkoalition – insbesondere zwischen den Grünen und der FDP – mit einer klaren Ansage beendet. Der Kanzler wies die zuständigen Minister an, Gesetzesvorschläge zu machen, damit die drei Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland über das Jahresende hinaus maximal bis zum 15. April 2023 «im Leistungsbetrieb» bleiben, also ganz normal weiterlaufen können.» Der Entscheid war absehbar. Man verzichtet in der grössten Energiekrise seit dem 2. Weltkrieg nicht mutwillig auf sichere und klimaneutrale Kernkraftwerke.
Bei den Grünen löste der nachvollziehbare Entscheid grosses Entsetzen aus. Die NZZ schreibt: «Jürgen Trittin etwa, grünes Urgestein und früherer Umweltminister, kritisierte Scholz’ Entscheidung, bezeichnete die «Grundlage für die Zusammenarbeit in dieser Koalition» als «schwer erschüttert» und kündigte an, dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Der FDP warf er Wortbruch vor, schliesslich sei der Ausstieg zum Jahresende vereinbart gewesen». Wir erinnern uns: Gemäss Jürgen Trittin kostet die deutsche Energiewende nicht mehr als eine Kugel Eis.
Klar ist jetzt schon, dass die Diskussion nicht abgeschlossen ist. Auch im nächsten Winter wird Gas ein knappes Gut sein und damit die deutsche Stromproduktion äusserst unsicher. Erste Politikerinnen und Politiker fordern einen Weiterbetrieb bis ins Jahr 2024. Dazu müssen auch neue Brennstäbe bestellt werden.
Auch der Bund der deutschen Industrie (BDI), das Pendent zur hiesigen Swissmem, begrüsste den Entscheid. Ebenfalls ist für die deutsche Industrie klar, dass die Diskussion über die Laufzeiten nicht abgeschlossen ist. Gesellschaftliche Verwerfungen und wirtschaftliche Schäden verlangen nach pragmatischen Lösungen.
Die Schweiz tut gut daran, die deutschen Fehler nicht zu wiederholen. Wer eine saubere, sichere und eigenständige Stromversorgung will – kann Kernenergie nicht einfach ausschliessen.